Februar 1923 – Dokumente aus dem Syfo-Archiv
„Aufruf an die Frauen!
Als 1914 der Krieg ausbrach, als man Millionen unserer Arbeitsbrüder wie Tiere zur Schlachtbank führte, so waren da die Frauen? Welche Stellung haben sie da eingenommen? Haben sie irgendetwas unternommen, um das furchtbare Völkermorden zu verhüten? Sie duldeten es schweigend, daß man ihr Liebstes, ihre Männer und Söhne an die Front schickte, um sich dort gegenseitig zu zerfleischen. Nicht allein das, sie schmückten dieselben noch mit Blumen und feierten sie als Helden. Sie gingen in die Fabriken, fertigten Munition an und förderten so den Krieg. Alle Leiden, Hunger und Elend nahmen sie auf sich, nur weil eine Clique von Ausbeutern und Betrügern es verstand, die Menschheit mit schönen Worten in den Wahn zu versetzen, das ‚Vaterland’ sei in Gefahr.
Und während ihr darbtet, da steckten jene Gewinne über Gewinne ein und schwelgten. Man versprach euch eine bessere Zukunft. Aber was hat euch der Krieg gebracht? Ungeheure Lasten hat er euch aufgebürdet. Man hat es verstanden, alle Kriegsschulden auf das Proletariat abzuwälzen. Die Frauen haben dabei am meisten zu leiden.
Arbeitslosigkeit, Hunger und Not sind weitere Folgen des unseligen Krieges. Unsere jetzige wirtschaftliche Lage ist eine derart tiefstehende, wie man sie sich nicht schlechter denken kann. In den letzten Wochen steigen die Lebensmittelpreise so sprunghaft, dass ihr kaum noch in der Lage seid, auch nur das Allernotwendigste zum Leben herbeizuschaffen.
Man sagt euch, daran sei die Besetzung an der Ruhr schuld. Man hetzt die Arbeiterschaft zu einem neuen Kriege. Mitschwestern, wollt ihr das über euch ergehen lassen? Brennen die Wunden, die der Krieg euch geschlagen, nicht noch tief an Leib und Seele? Wollt ihr tatenlos zusehen, wie eure Kinder, die ihr unter Schmerzen geboren, für die ihr euer Herzblut hergeben möchtet, immer mehr verelenden. Nein, und tausendmal nein! Ihr wäret nicht wert, Mutter zu heißen. Wir müssen mit aller Kraft und Energie jeden Krieg zu verhüten suchen. Ein neuer Krieg würde vollständigen Untergang bedeuten. Wir aber wollen unsere Kinder nicht dem Untergang, sondern dem Lichte zuführen. Wir wollen keinen Krieg mehr! Nicht Haß wollen wir säen, sondern reine Menschenliebe!
Nicht die Franzosen sollt ihr bekämpfen. Der französische Militarismus ist aus demselben Holze geschnitzt wie der deutsche. Der Militarismus ist international. Er steht im Dienst des internationalen Kapitalismus. Diesen gilt es im eigenen Lande zu bekämpfen. Darum werft allen Zwang von euch. Werdet tatkräftige, denkende Menschen. Seid euren Männern nicht nur Gattin, sondern auch Kameradin. Dieselben Menschen, welche 1914 all das Elend über euch gebracht, welche euch ausgesogen haben bis aufs Blut, sie versuchen es auch jetzt wieder, euch in einen neuen Krieg zu zwingen. Wir aber wollen uns keinem Zwang mehr unterordnen, welcher der ganzen arbeitenden Bevölkerung zum Schaden geeicht. Darum rufen wir euch zu: Kämpft gemeinsam mit euren Männern gegen unsern Erbfeind: Staat, Kapitalismus und Militarismus. Erst dann, wenn wir dieselben ausgerottet haben werden, können wir zur Freiheit gelangen. Nur dadurch, dass wir uns gegenseitig unterstützen und beistehen, werden wir stark sein.
Wir schließen mit dem Ausruf:
Nie wieder Krieg! Es lebe die freie, herrschaftslose Gesellschaft.
Die Geschäftsleitung der Föderation des syndikalistischen Frauenbundes
I.A. Luzie Schuster“
Aus: Der Frauen-Bund, Februar 1923, in: Der Syndikalist, Nr. 5/1923.