Vor 100 Jahren

April 1922Dokumente aus dem Syfo-Archiv

Peter Maaßen (Uerdingen):

Die Kirche ist überflüssig und gemeingefährlich

Über dieses Thema ist schon viel gesprochen und geschrieben worden. Auf einer Generalversammlung der Ortsgruppe Uerdingen der Freien Arbeiter-Union wurde der Beschluß gefasst: „Mitglieder der Ortsgruppe sollen nicht mehr Anhänger der Kirche sein.“ Die Karenzzeit wird auf sechs Monate nach der Beschlußfassung festgesetzt. Für neueintretende Mitglieder auf sechs Monate vom Tage ihres Eintrittes in die Organisation: Der Antrag wurde gegen sieben Stimmen angenommen.

Natürlich wurden auch Einwendungen gegen diesen Beschluß erhoben: „Man zerstöre damit die Organisation, der Beschluß sei von schwerer Bedeutung, er sei verfrüht usw.“ Dazu möchte ich sagen, dass dieser Beschluß reinigend wirken wird, und dass er drei Jahre zu spät kommt. Wer da glaubt, sich Syndikalist nennen zu dürfen, der muß doch die Kirche als überflüssig erkannt haben. Man mag aber über den Beschluß denken, wie man will, er besteht für eine Organisation unserer Geistesrichtung zu Recht. Wir wenden uns scharf gegen den Militarismus und gegen die gesetzlichen Betriebsräte. Mitglieder politischer Parteien dürfen nicht mehr gleichzeitig Mitglieder unserer syndikalistischen Organisation sein. So verlangen wir nun das gleiche von den Anhängern der staatlichen Kirchen. Man wirft uns vor, dass die syndikalistische Organisation eine Massenbewegung sei.

Mancher nennt sich Syndikalist, wenn er nur sein Mitgliedsbuch in der Tasche hat und einen recht geringen Beitrag zahlt. Die Menschen, die sich nicht losmachen können vom Dogma der Kirche, mögen dort bleiben, wo sie sich glücklich fühlen. Jene aber, die zu den Syndikalisten kommen aus Drang nach Freiheit, aus Empörung über die heutigen Gesellschaftszustände, die mithelfen wollen am Neubau der freien herrschaftslosen Gesellschaft, sie haben die Pflicht, all den Ballast abzuschütteln, um den anderen ein leuchtendes Vorbild zu sein. Zeigt euren Kollegen die Austrittserklärung aus der Kirche! Zeigt, dass ihr Antimilitaristen seid! Verweigert die Herstellung von Mordwerkzeugen und Munition! Beweist, dass ihr mit der sogenannten Arbeitsgemeinschaft nichts zu tun habt (Betriebsräte)!

Ich klage alle an, die in diesen Punkten immer noch Fehler machen. Dauernd greift man uns an, weil wir noch viele unselbständige Elemente in unseren Reihen haben. Jeder hat bei sich selbst anzufangen, bevor er anderen Lehren erteilen will. Jeder hat in seiner Familie nach unseren Grundsätzen zu leben. Wenn ich erkannt habe, was Lug und Trug ist, dann muß ich wollen, dass auch meine Kinder nicht in der Lüge erzogen werden. Hier beginnt die Inkonsequenz vieler unserer Genossen. Heraus aus der Landeskirche! Nehmt eure Kinder aus dem Religionsunterricht! Sorgt dafür, dass eure Jugend sich zu einem Bunde zusammenschließt, wo den Kindern die neue Lehre vorgelebt wird. Zu begrüßen ist die Bildung von Jugendbünden. Wo sich die Jugend im Spiel frei bewegt, wo sie diskutiert, wo Vorlesungen gehalten werden, wo sie auf die Schädlichkeit von Kirche, Staat, Militarismus, Alkohol, Nikotin usw. hingewiesen wird. So werden sich die Jugendlichen allmählich zu willensstarken Männern und Frauen entwickeln, um als Kämpfer mitzuwirken an der Schaffung einer freien Gesellschaft. Wenn wir so handeln, dann können wir bald in jedem kleinen Ort eine freie Schule, resp. Schulklasse ins Leben rufen.

Mögen alle Genossen der Freien Arbeiter-Union unseren Beschluß beherzigen, damit auf dem nächsten Kongreß ein solcher Beschluß gefasst und in unsere Prinzipienerklärung aufgenommen werden kann: Mitglieder der Freien Arbeiter-Union sollen nicht Anhänger einer Landeskirche sein.“

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 15/1922.

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