Fußballmeister Hertha BSC

Fußball als Massensport findet nicht jeder Schick. Das war damals nicht anders als heute. Im „Syndikalist“, der Zeitung der „Freie Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD), fanden wir aus dem Jahre 1930 den folgenden Artikel, der besonders die Anhänger von Hertha BSC erfreuen, aber allen Fußballbegeisterten etwas abgewinnen wird. Der Verfasser spricht Wahrheiten an, die noch heute gültig sind, wenn man in die Fußballstadien blickt. Arbeiterinnen und Arbeiter pushen ihr Team mit Leidenschaft nach vorne, nehmen hunderte Kilometer für Auswärtsfahrten auf sich, um ihren Klub auch Abseits der Heimstätte anzufeuern, werden oftmals von Polizei schikaniert und geben buchstäblich ihr letztes Hemd, um den Verein zu unterstützen.  Wie viel stärker wäre jedoch die Position der Arbeiter im Klassenkampf, wenn diese Kollegen auch dort dieselbe Leidenschaft und Entschlossenheit an den Tag legen würden?

Institut für Syndikalismusforschung

„Fanatismus

Man schreibt uns aus Berlin über ein Erlebnis folgende Zeilen, die an ein Ereignis anknüpfen, das von der Presse ganz Deutschlands als Riesensensation ausgeschlachtet wurde:

Als ich am Montag, den 23. Juni, abends zufällig auf dem Bahnhof Gesundbrunnen ausstieg, wunderte ich mich über den kolossalen Auflauf von Menschen, der sich vor und in dem Lokal „Atlantik“ (Lichtburg) ansammelte. Nach genauer Prüfung hatte ich bald des Rätsels Lösung. Die Fußballmannschaft des Berliner Vereins Hertha-BSC, welche am vorangegangenen Sonntag in Düsseldorf gespielt und dort die sogenannte „Deutsche Meisterschaft“ im bürgerlichen Sportverband gewonnen hatte, kam zurück zum Vereinslokal, zur Lichtburg.

An der Hausfront der Lichtburg waren große Transparente angebracht mit den Worten: „Hertha-BSC – Deutscher Meister!“ Der Eingang war mit Girlanden ausgeschmückt und von der Polizei bewacht, damit kein „Unberufener“ zu den Vereinssälen Zutritt erhielt. Sämtliche angrenzende Lauben, das Dach des Neubaus der Untergrundbahn und die angrenzende Brunnenstraße waren voll von Menschen; die Polizei hatte alle Not, um die Zufahrtstraße frei zu halten. Auf dem Dache der Lichtburg stand ein Ansager mit einem Fernrohr. Dieser gab die Entfernung der Mannschaft vom Lokal zeitweise bekannt und beruhigte dadurch die wartenden Massen. Nach geraumer Zeit hörte man Musik; es zeigte sich bald ein Zug Menschen. In der Mitte ein Auto, voll besetzt. Das war aber nicht etwa die Mannschaft, sondern der Pokal wurde eingeholt, eine Bronzefigur, der Siegesgöttin ähnlich. Hierauf setzte Lärm ein, Rufe erschollen für den Verein. Nach einer Viertelstunde kam die Mannschaft selbst, begleitet von einer tausendköpfigen Menschenmasse. Der Verkehr war für diesen Augenblick gesperrt. Zirka 25 Straßenbahnwagen mit Anhängern war es nicht möglich durchzukommen, und sie mussten hinter dem Zug herfahren. Am Lokal angekommen, gebärdete sich die Masse wie verrückt, alles brüllte aus voller Kehle der Mannschaft zu; etliche Spieler wurden auf den Schultern getragen und Ovation folgte auf Ovation.

Wer so etwas gesehen hat und nicht ganz vernagelt ist, der schüttelt einfach mit dem Kopf. Ich bin zwar auch Sportler und habe 13 Jahre Fußball gespielt – aber das kann kein normaler Mensch verstehen. Auch in Arbeitersportkreisen aber ist man auf dem besten Weg, diesen Unsinn nachzuäffen.

Wer aber jene Menschen, von denen ich sprach, gesehen hat, konnte feststellen, dass es zu 90 Prozent Arbeiter aus den Betrieben waren! Auf den Arbeitsplätzen aber sind dieselben Arbeiter für nichts zu haben als für ihren Sport; auf der Kehrseite beschweren sie sich über schlechte Lohn- und Arbeitsbedingungen! Ich will nicht den Sport verwerfen, jedoch sage ich: Sport ist Sport und hat mit Fanatismus nichts zu tun; er soll Körper und Geist stärken, weiter nichts. Wenn der Fanatismus, wie man ihn leider beim Sport sehen kann, auf die Arbeitsstellen verpflanzt würde in Hinsicht auf gewerkschaftliche Arbeit, so brauchte der Arbeiterschaft für die Zukunft ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht bange sein.“

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 29/1930

Mehr zum Thema Fußball und Arbeiterklasse gibt es in der Nr. 5 der „Barrikade

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